Bei der Widerstandsfähigkeit der Lieferketten geht es nicht nur darum, Nachteile zu vermeiden, sondern auch um langfristige Optionen, nachhaltige Innovationen und überlegene Kapitaleffizienz.“
Im heutigen Umfeld, in dem geopolitische Spannungen den Zusammenhalt der Weltwirtschaft bedrohen, ist es zu einer strategischen Notwendigkeit geworden, widerstandsfähigere Lieferketten aufzubauen. Unternehmen müssen sich in einem Umfeld bewegen, das durch eine schwankende Nachfrage, zunehmende politische Interventionen und immer unvorhersehbarere Ereignisse geprägt ist. Bei vielen Herstellern ist eine vollständige Loslösung von internationalen Lieferanten jedoch nach wie vor nicht machbar. Für globale Unternehmen geht es bei dem Thema Widerstandsfähigkeit nicht mehr nur um Eventualitäten, sondern um eine konkrete Neuausrichtung, ohne dass dabei alles aus den Fugen gerät.
Das Zeitalter der nahtlosen globalen Lieferketten neigt sich womöglich dem Ende zu. Heutzutage sind einige der weltweit wichtigsten Branchen – von Technologie und Energie bis hin zu Verteidigung und Industrie – auf ein Halbleiterökosystem angewiesen, das zunehmend fragmentiert und in geopolitischer Hinsicht schwierig geworden ist. Engpässe sind keine gelegentlichen Störungen mehr, sondern mittlerweile die Realität.
Ein offensichtliches Beispiel wären Handelsbeschränkungen seitens der USA, die speziell auf Chinas Fähigkeit abzielen, fortschrittliche KI-Chips herzustellen. Als Reaktion darauf hat das Handelsministerium Chinas Exportkontrollen für sieben seltene Erden – darunter Dysprosium, Terbium und Gadolinium – eingeführt, die bei der Produktion von Magneten für Hochleistungsrechner, Elektrofahrzeuge und Stromnetze unerlässlich sind.1 Für diese Grundstoffe bedarf es nun spezieller Ausfuhrlizenzen, was die Versorgungsunsicherheit in mehreren Sektoren erhöht. Die Hindernisse in der Lieferkette sind nicht theoretischer Art, sondern werden bereits an ganz realen Engpässen ersichtlich.
Stellen Sie sich ein Rechenzentrum in Texas vor, das die nächste Welle des KI-Computing (künstliche Intelligenz) unterstützen soll, jedoch nicht in Betrieb gehen kann, da es auf Hochspannungstransformatoren wartet, die in einem Hafen in Shenzhen festsitzen. Das Stromnetz in den USA kann nicht schnell genug expandieren, nicht etwa weil es an diesbezüglichen Ambitionen mangelt. Sondern weil die spezialisierten Magnete, die für eine fortschrittliche Stromübertragung benötigt werden, auf seltende Erden angewiesen sind. Die fast ausschließlich aus China bezogen werden. Welchen Wert hat Innovation, wenn die Infrastruktur nicht Schritt halten kann?
Widerstandsfähigkeit als Konzept: Beschaffungs- und Umweltrisikomodelle im stetigen Wandel
Kosteneffizienz kann einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bieten, solange es keine Disruptionen gibt. Jahrzehntelang wurde das „Just-in-Time“-Betriebsmanagementmodell (JIT) eines japanischen Automobilherstellers als effizienzorientierte Strategie gepriesen. Mit diesem Modell sollte sichergestellt werden, dass Materialien genau dann geliefert werden, wenn sie gebraucht werden. Um so die Lagerbestandskosten möglichst gering zu halten. Das hat gut funktioniert, bis das Erdbeben und der Tsunami von Tohoku im Jahr 2011 die inhärenten Schwachstellen von derart hochoptimierten Lieferketten aufdeckte.2,3
Die COVID-19-Pandemie veranlasste viele Unternehmen wiederum dazu, ein „Just-in-Case“-Lagerbestandsmodell einzuführen, um Verluste durch unerwartete Unterbrechungen zu mindern. Im Jahr 2023, als die pandemiebedingten Herausforderungen nachließen, gingen einige Organisationen trotz anhaltender Lieferkettenrisiken wieder zu JIT-Praktiken über. Eine Entscheidung, die durch die erhöhten Kosten im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung erheblicher Lagerbestände in einem Umfeld hoher Zinsen und Inflationsraten beeinflusst wurde.4
Diese zyklischen Reaktionen deuten auf eine tiefgründigere Wahrheit hin: Widerstandsfähigkeit bedarf mittlerweile strategischer Flexibilität, nicht der dogmatischen Einhaltung eines einzigen Modells. Doch der Aufbau von Widerstandsfähigkeit erfordert heute mehr als nur Bestandspuffer oder Lieferantendiversifizierung. Vielmehr gilt es auch, die physischen Auswirkungen des Klimawandels und der Knappheit von natürlichen Ressourcen zu berücksichtigen. Denn Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und extreme Wetterereignisse stören Logistiknetzwerke, die Industrieproduktion und Rohstoffverfügbarkeit immer häufiger.
Ein unterschätztes Risiko ist die Wasserknappheit. Von Halbleiterfabriken in Arizona bis hin zur pharmazeutischen Fertigung in Indien ist der Zugang zu einer zuverlässigen Wasserversorgung zu einem kritischen Problem geworden. Klimabedingte Risiken sind nicht mehr hypothetisch – sie resultieren schon jetzt in quantifizierbaren Störungen. Daher erfordert die Widerstandsfähigkeit die Integration von Klimarisiko-Mapping, Szenarioanalysen und Anpassungsstrategien in die Beschaffungs- und Kapitalplanung.
Industriepolitik als Marktgestalter
Die Neukonfiguration der Lieferketten ist nicht mehr nur eine Unternehmensangelegenheit. Stattdessen werden die Länder zunehmend zu strategischen Akteuren bei der Marktbildung. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Beteiligung des US-Verteidigungsministeriums an dem einzigen vollständig integrierten Seltende erden produzenten in den USA.5 Zur Unterstützung der inländischen Widerstandsfähigkeit leistet die Regierung nun Mindestpreisgarantien für langfristige Aufträge. Damit garantiert sie de facto Investitionen in einem Sektor, der von Kostenvolatilität und geopolitischen Risiken geplagt ist.6 In dieser neuen Landschaft ist die Industriepolitik keine Randerscheinung, sondern eine zentrale Kraft, welche die Angebotsdynamik prägt. Für Anleger bedeutet dies einen Wandel: Staatsgeführte Anreize, Subventionen und Beschaffungsmodelle sind heute entscheidende Variablen bei der Bewertung der langfristigen Lieferkettenstabilität, insbesondere in Bereichen wie kritische Mineralien, Halbleiter und Rüstungsgüter.
Investition in Widerstandsfähigkeit: Qualitätsunternehmen sind führend
Für langfristige Anleger stellt die Neukonfiguration der globalen Lieferketten nicht nur ein Risiko dar. Sie bietet auch die Möglichkeit, Unternehmen zu identifizieren, die in der Lage sind, Widerstandsfähigkeit in einen Wettbewerbsvorteil umzuwandeln. Unseres Erachtens ist die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten zunehmend ein charakteristischer Hinweis auf operative Exzellenz, Preismacht und strategischen Weitblick. Jeweils Merkmale von Qualitätsunternehmen, wie wir sie bevorzugen. Vor diesem Hintergrund ist die Belastbarkeit der Lieferkette in diesem Jahr ein thematisches Engagementthema für das Team, da wir versuchen zu beurteilen, wie Unternehmen, die wir besitzen, das potenziell finanziell Risiko einer Unterbrechung der Lieferketten angehen..
Legrand ist ein starkes Beispiel für ein Unternehmen, das sich mit der Widerstandsfähigkeit der Lieferkette befasst. Es bildet proaktiv das Klima- und Regionenrisiko in seiner Wertschöpfungsketten ab. Während der zollbedingten Volatilität bewerteten die US-Standorte des Unternehmens nicht nur ihr eigenes Engagement in China und Mexiko, sondern auch das ihrer maßgeblichen Lieferanten, was eine klare Kommunikation mit den Stakeholdern ermöglichte. Legrand vermeidet es auch, nur von einem einzigen Lieferanten abhängig zu sein, etwa in riskanten Regionen wie Taiwan, wo das Unternehmen seine Lieferantenbasis aktiv ausbaut.
In ähnlicher Weise arbeitet Safran daran, seine Abhängigkeit von russischem Titan und chinesischen seltenden erden zu verringern und sich zugleich mittels Vertragsklauseln und einer flexiblen Beschaffung an neue Vorschriften anzupassen. Im Falle von ASML stellte sich die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette von Anfang als Notwendigkeit heraus, weshalb ASML bestrebt war, Unternehmen zu einer aktiven Zusammenarbeit aufzufordern, wobei intensive Partnerschaften mit einer zunehmenden Risikoüberwachung, insbesondere in Bezug auf seltene Erden, aufeinander abgestimmt wurden. Das Unternehmen erweitert die vorgelagerte Transparenz, indem es auf selektive Weise ein duales Beschaffungswesen betreibt und in Klimaresilienz investiert, während es Exportkontrollen und zollbezogene Hindernisse steuert. Die seine zentrale Rolle in der Halbleiter-Wertschöpfungskette unterstreichen.
In einer Welt, in der Disruption zur Norm wird, bleibt das Verständnis der Lieferketten von Unternehmen unerlässlich – nicht nur angesichts ungelöster Handelsspannungen, sondern auch in Erwartung tieferer systemischer Veränderungen in der globalen Ordnung. Letztendlich zeigen diese Beispiele, dass Widerstandsfähigkeit nicht nur darauf ausgelegt ist, Nachteile zu vermeiden. Es geht zunehmend auch darum, langfristige Optionen, nachhaltige Innovation und überlegene Kapitaleffizienz zu schaffen. In einer fragmentierten Welt glauben wir, dass Unternehmen, die frühzeitig und intelligent in die Langlebigkeit der Lieferkette investieren, strukturell besser positioniert sein werden – und dass Widerstandsfähigkeit durchaus zum neuen Alpha werden könnte.